Versöhnungskirche, Tarp

Schleifenwindladen, mechanische Tasten- und Registertraktur (Lagerung der Holzwellen ohne Garnierung)

Disposition: Immo Wesnigk, Christian Lobback
Gehäuseentwurf, Mensuren und Intonation: G. Christian Lobback

Manual I C – g“‘ (Hauptwerk)

Prinzipal 8′
Gedackt 8′
Oktave 4′
Gedacktflöte 4′
Quinte 2 2/3′
Gemshorn 2′
Terz 1 3/5′
Mixtur IV 1 1/3′
Trompete 8′
II – I

Manual II C – g“‘ (Brustwerk)

Gedackt 8′
Salicional 8′
Rohrflöte 4′
Prinzipal 2′
Terz 1 3/5′
Nasat 1 1/3′
Oktävlein 1′
Vox humana 8′
Tremulant

Pedalwerk C – f‘

Subbaß 16′
Prinzipal 8′ X
Gedackt 8′
Nachthorn 4′
Fagott 16′
Trompete 8′ X
II – P
I – P

Das absolute Tonbewußtsein und die Orgel

Anmerkungen anläßlich der Fertigstellung der Orgel der Versöhnungskirche Tarp, © G.C. Lobback, 1989

Alles in der Welt ist relativ. Dieser Ausspruch ist ohne nähere Begründung sicherlich nicht viel mehr als eine Phrase. Es ist aber, soweit es hier notwendig ist, nicht schwer, das, was damit gesagt sein soll, zu präzisieren, und zwar am einfachsten, indem wir das Absolute definieren. Eimal absolut gemessene, d.h. in absoluten Einheiten ausgedrückte Verhältniszahlen, die uns hier nicht beschäftigen; und sodann eigentlich absolute, d.h. auf einer Skala mit einem Nullpunkt verzeichnete Größen, wie die Höhe über dem Meeresspiegel, die Temperatur und manches andere.

In diese letzte Kategorie gehört offenbar die absolute Tonhöhe, sie steht hiermit in denkbar schärfstem Gegensatz zu dem Begriff des Tonverhältnisses oder Intervalles, als einer durchaus relativen Größe. Nun ist der Mensch bekanntlich mit einem außerordentlich feinen Sinn für das Relative ausgerüstet, auf dem Gebiete mit einem noch feineren als dem anderen, auf allen aber mit einem Sinn von bewundernswürdiger Empfindlichkeit. Ob zwei Linien einander parallel sind oder nicht, ob eine Straße, auf der man sich bewegt, eben läuft oder ansteigt, dafür hat der Mensch, für das letztgenannte sogar auch Pferd und Esel – eine äußerste Feinfühligkeit.

Am schärfsten ausgebildet aber ist dieser Sinn beim Gehörorgan, und zwar im Bezug auf die Tonintervalle, d.h. die Verhältnisse der Schwingungszahlen bzw. Tonhöhen. Ganz anders steht es um das Absolute. Auf den meisten Gebieten verhält sich der Mensch ihm gegenüber völlig indifferent und ratlos. Für die Richtung nach dem Nordpol, für die Richtung nach dem magnetischen Pol, für die Höhe über dem Meeresspiegel, für die absolute Temperatur haben wir keinerlei Empfindungen; wir müssen, um diese auch nur annähernd zu bestimmen, nach dem Himmel schauen und aus der Tasche den Kompaß, das Barometer und das Thermometer hervorholen; und wenn wir die Luftfeuchte in der Versöhnungskirche kontrollieren wollen, um zu verhindern, daß die Orgel durch extreme Trockenheit Schaden nimmt, so bedienen wir uns eines Hygrometers. Zusammengefaßt: Das Absolute an sich ist uns unzugänglich.

Unter den Begabungen, die Menschen besitzen, kann man zwei Gruppen deutlich unterscheiden: der einen Gruppe gehören diejenigen an, über welche der Mensch normalerweise verfügt und deren Fehlen einen Defekt bedeutet; in diese Gruppe gehört, wie der Farbensinn, der Zahlensinn und vieles andere, unzweifelhaft auch der Sinn für Tonintervalle; unter 50 Menschen wird man vielleicht einen finden, dem er fehlt.

In die andere Gruppe gehören die Fähigkeiten, die der Mensch nur selten besitzt, und deren Besitz ihn zu einem besonderen Typus stempelt: Dahin gehört das uns hier beschäftigende absolute Tonbewußtsein oder absolute Gehör. Daß dieses existiert, ist nicht zu bezweifeln.

Was mich selbst z.B. betrifft, so habe ich zweifellos kein absolutes Tonbewußtsein, werde mich aber zu Zeiten, wo ich intensiv intoniere, trotzdem selten mehr als einen halben bis ganzen Ton irren, während andererseits auch der mit absolutem Gehör Begabte beim Viertelton schon aus äußeren Gründen fast immer seine Grenzen findet.

Was hat das nun alles mit dem Bau einer Orgel zu tun? Von den Antworten, die ich darauf geben kann, lautet die erste kurz und bündig: gar nichts. Diese Antwort wäre in der Tat die einzig richtige, wenn der Tonbereich unbegrenzt und in seinem Verlaufe mit jener idealen, maschinell gezogenen Linie vergleichbar wäre. Aber mit der Orgel verhält es sich, wie mit allem in Natur- und Menschenleben: man muß die Dinge nehmen wie sie sind, mit allen ihren Unvollkommenheiten, mit ihrer Unausgeglichenheit, mit ihren Diskontinuitäten; und daß sie so unvollkommen sind, ist ja gerade Vollkommenheit, darin liegt ihr sozusagen individueller Reiz.

Das gilt, was den Tonbereich betrifft, von den Besonderheiten der Tonerzeugung ebenso wie von denen der Tonempfindungen; dort wie hier wirken die verschiedensten Faktoren zusammen, um aus dem Ideal eine Wirklichkeit zu machen: die Mängel und kritischen Punkte musikalischer Instrumente, insbesondere auch im Hinblick auf akustische Einschränkungen des jeweiligen Aufstellungsraumes; und andererseits ein spezifischer Hörapparat mit ganz bestimmtem Trommelfell, bestimmten Knöchelchen und einem besonderen System von Fäserchen; im Zentralorgan endlich eine Verwertung dieses Materials und eine Assoziationenbildung, die, so unbekannt sie uns auch in vielerlei Hinsicht sein mag, sich sicherlich dem ganzen Bereiche gegenüber nicht konstant und wahrscheinlich auch nicht stetig verhält.

Die absolute Tonhöhe kann unter Umständen eine gewisse Rolle in der Musik, der produktiven wie der rezeptiven, spielen. Von besonderer Bedeutung, so möchte ich hinzufügen, kann dieses Element nicht sein, einerseits nach außen nicht, weil für starke Veränderungen des Niveaus der Tonbereich zu wenig Raum bietet und andererseits auch nicht, weil die absolute Tonhöhe gar nicht so genau festgelegt war und ist; sind doch die meisten Kompositionen des 17. Und 18., zum Teil auch noch des 19. Jahrhunderts gar nicht für die Tonhöhe geschrieben worden, in der sie jetzt, nach wiederholter Festlegung des Kammertons, ausgeführt werden.

Ein weiteres kommt hinzu; aus physikalischen Gründen ist das Musikinstrument Orgel auf eine absolute Tonhöhe nur fixierbar, wenn die Raumtemperatur konstant gehalten werden könnte. Da dies nicht mathematisch exakt möglich ist, unterliegt sie folglich einer ununterbrochenen und stetigen Veränderung in ihrer absoluten Tonhöhe. Die dadurch bewirkte geringfügige Phasenverschiebung der Frequenzen, innerhalb der einzelnen Werke einer Orgel, können im positiven Fall klangästhetisch förderlich sein – und sogar einen Chörigkeitseffekt bewirken.

Nutzanwendung auf die Musik: wer absolutes Tonbewußtsein hat, mag sich dessen erfreuen und es je nach Neigung und Beruf nutzen: der Musiker zur bequemen Koordination von Zeichen und Tönen, der Orgelbauer zur Einsparung der Stimmgabel, der Vorsteher eines großen Rangierbahnhofs, um an ihrem Pfiff jede einzelne Lokomotive zu erkennen. Wenn der Musiker dagegen ein Lied, weil es ihm in Transposition begleitet wird oder weil ihm transponierte Noten vorgelegt werden, falsch oder auch nur unsicher singt, selbst wenn ihm der erste Ton richtig angegeben worden ist, scheitert, so ist er – man muß es ohne Umschweife sagen – ausgesprochen unmusikalisch, und sei sein absolutes Tonbewußtsein auch so fein, daß er sich vor einer internationalen Psychologenversammlung mit erstaunlichem Erfolg produzieren könnte.

Der Intervallsinn und die Tonempfindung sind auch für die Arbeit des intonierenden Orgelbauers eben die conditio sine qua non; Intervallsinn und Tonempfinden sind somit wesentliche Voraussetzung für das positive Klangergebnis eines Orgelbaues. Erfahrungsgemäß ist bekannt, daß diese Fähigkeiten bei einem Orgelbauer gesteigert werden können, wenn er bei seiner Arbeit freundlich behandelt wird. Daß dem bei dem Orgelbau in Tarp so gewesen ist, kann man am Ergebnis ablesen.

Abschließend möchte ich aus einem Abnahmegutachten von Johann Kuhnau, Thomaskantor in Leipzig, aus dem Jahre 1718, zitieren, das in dem einen oder anderen Punkt Parallelen zu dem heutigen Orgelbau in Tarp aufweist: „So würde doch der Preiß der 820 Thl., so hierbay angewendet worden, by einem solchen großen und mit 16füßigen Stimmen erscheinenden Wercke bei weitem nicht zugereicht haben, denn Orgel Wercke, worinnen dergleichen vielfüßige Creaturen unter vielen anderen Stimmen brummen, kosten immer gar viel Geld. über dieses thut es doch auch seinen Effect, und hat der Meister daran gethan soviel in seinen Vermögen gewesen. Im übrigen wünsche ich, daß dieses neu erbauete Orgel Werck bey erwünschter Ruhe und Frieden dem Allerhöchsten zum Lob und Preiße, denen Herrn Patronen zum unsterblichen Ruhme, und der gantzen werthen Stadt zur Vergnügung und heiligen Andacht immer beständig möge gehöret werden.“