St. Gertrud, Lohne

Manual III C – g“‘ (Schwellwerk)

Bordun 16′
Prinzipal 8′
Flûte harmonique 8′
Gambe 8′
Schwebung 8′
Oktave 4′
Flauto traverso 4′
Nasard 2 2/3′
Waldflöte 2′
Terz 1 3/5′
Oktave 1′
Mixtur V 2 2/3′
Basson 16′
Trompette harmon. 8′
Hautbois 8′
Clairon 4′
Tremulant

Manual II C – g“‘ (Hauptwerk)

Prinzipal 16′
Oktave 8′
Spitzflöte 8′
Oktave 4′
Hohlflöte 4′
Quinte 2 2/3′
Prinzipal 2′
Kornett V 8′
Mixtur VI 2′
Zimbel III 1/2′
Trompete 16′
Trompete 8′
III – II
I – II

Manual I C – g“‘ (Rückpositiv)

Prinzipal 8′
Rohrflöte 8′
Quintade 8′
Prinzipal 4′
Koppelflöte 4′
Gemshorn 2′
Sesquialter II 2 2/3’+ 1 3/5′
Quinte 1 1/3′
Scharff IV 1′
Dulzian 16′
Cromorne 8′
Tremulant
III – I

Pedalwerk C – f‘

Prinzipal 16′
Subbaß 16′
Quinte 10 2/3′
Oktave 8′
Bartpfeife 8′
Choralbaß 4′
Traverse 2′
Rauschpfeife V 2 2/3′
Posaune 16′
Trompete 8′
Clairon 4′
III – P
II – P
I – P

Schleifenwindladen, mechanische Tastentraktur (Lagerung der Holzwellen ohne Garnierung), elektrische Registertraktur, Generalsetzer 64fach,

Disposition: Bernadette Bosbach, Christian Lobback
Gehäuseentwurf, Mensuren und Intonation: G. Christian Lobback

Das Gehäuse der Orgel zu Lohne (Oldenburg) St. Gertrud

Die LOBBACK-Orgel in St. Gertrud zu Lohne (Landkreis Vechta) besitzt ein Gehäuse, das Elemente vom Vorgängerinstrument aufweist (bzw. solche, die danach rekonstruiert worden sind). Die alte Orgel mit 30 Registern auf zwei Manualen und Pedal (Schleifenwindladen) hatte FRIEDRICH FLEITER, Münster (Westf.), in den Jahren 1876-1878 erbaut. Das neoromanische Gehäuse schuf der in Münster ansässige Kunsttischlermeister BERNHARD RINCKLAKE (1). Der Prospekt war mit Betonung der Mittelachse fünfteilig gegliedert. In den Grundzügen handelte es sich um eine noch klassische Gestaltung, obwohl auf Grund anders gewählter Proportionen die Anordnung der Prospektpfeifen keinen Rückschluß auf das Orgelinnere mehr zuließ. Der dreigeteilte Mittelturm, abgefangen durch einen starken Culde-lampe, erinnert ein wenig an COMPENIUS-Prospekte (2) sowie an den Prospekt der ARISTIDE-CAVEILLÉ-Orgel in der Basilika von Saint Denis (3). Zahlreiche Orgelprospekte aus dem 19. Jahrhundert waren mit solchen dreigeteilten Türmen, deren Grundriß ein halbes Sechseck umschreibt, ausgestattet (4). Die Diskantfelder zwischen den Außenfeldern und dem Mittelturm waren als doppelstöckige Harfenfelder (die unteren Felder mit Schleierornamentik) gestaltet (5).

Außergewöhnlich war die reiche und vielseitige Ornamentik am Gehäuse. Die turmartigen Außenfelder und der Mittelturm verfügten über Rundbögen auf vorgelagerten Säulen mit Blumenkapitellen und Schleierbrettern. Darüber verlief – wie auch an den Oberteilen der Flachfelder – ein mit Spitzbögen abgesetzter Fries. Bekrönt wurde das ganze Gehäuse von einem Zinnenkranz.

Durch einen in der Horizontalen zweifach gegliederten Fries – Vorderfront sowie linke und rechte Seitenfront – wurden Gehäuseoberteil und der eingezogenen Orgelstuhl optisch getrennt. Dabei hatte RINCKLAKE das Programm der Ornamentik gegenüber dem Bereich über den Pfeifenmündungen abgewandelt. Die Vorderfront der Orgelstuhls selbst verdeutlichte in ihrem Aufbau die Rahmenbauweise. Jede Füllung wies reiches Schnitzwerk in verschiedenen Ausführungen auf, das spiegelbildlich – sowohl horizontal als auch vertikal – angeordnet gewesen war. Auf der Höhe der obersten Füllungsreihe des Orgelstuhls befanden sich am linken und rechten Gehäuseende konkave Konsolenbögen, die unten in einen weiteren, wesentlich kleineren Fries mündeten. Dieser trennte die beiden Füllungsreihen in der Vorderfront des Orgelstuhls.

Im Kriegsjahr 1917 mußten die Zinnpfeifen des Prospekts abgeliefert werden. 1933 nahm der Orgelbauer OTTO RITTER, Goldenstedt, geringfügige klangliche Veränderungen am Instrument vor. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg führte RITTER 1948 einen gravierenden Umbau durch, indem er die Traktur elektrifizierte. Ferner erweiterte er die Orgel um ein Brüstungspositivgehäuse mit acht Stimm (6). Zuvor war die Empore durch den Tischlermeister HEINRICH SIEVE-LEFFERDING vergrößert worden. Von ihm stammte auch das Rückpositivgehäuse. Es war ebenfalls fünfteilig, jedoch mit Betonung der Außenachsen gegliedert.

Das ornamentale Programm des Hauptgehäuses wurde nur teilweise bzw. stärker abstrahiert übernommen. Die Lübecker Orgelbaufirma EMANUEL KEMPER & SOHN lieferte 1956 einen neuen Spieltisch. 1958 nahm der Orgelbauer HERBERT KRUSE, Lohne, einen weiteren Umbau der Orgel vor. Er ersetzte die alten, durch RITTER elektrifizierten Schleifladen aus Eichenholz durch Taschenladen aus Brasilkiefernholz. KRUSE beseitigte außerdem den gesamten oberen Teil des Gehäuses im Bereich der Prospektpfeifen, um eine 16füßige Freipfeifenfassade zu errichten (7). In darauffolgenden Jahren mehrten sich technische und klangliche Mängel an der Orgel, so daß die Orgelwerkstatt ALFRED FüHRER, Wilhelmshaven, 1968 und 1975 Reparaturen an dem Instrument vorzunehmen hatte. Im letzten Fall erhielt das Pedalwerk drei neue Zungenstimmen (16′, 8′, 4′) von der Zungenpfeifenfirma CARL GIESECKE & SOHN, Göttingen (8).

Beim Orgelneubau von CHRISTIAN LOBBACK, Neuendeich bei Hamburg, bestand der Wunsch, die erhalten gebliebenen Gehäuseteile in das neue Gehäuse zu integrieren. Die neue Disposition mit 50 Registern auf drei Manualen und Pedal mußte darauf ausgerichtet werden. Haupt- und Pedalwerk verfügen jeweils über einen offenen 16′ im Prospekt. Ebenso wurde als erstes Manual ein Rückpositiv mit offenem 8′ realisiert. Dazu diente als Vorlage das von RINCKLAKE geschaffene Gehäuse. Gemäß der Intentionen des klassischen Orgelbaus bestand allerdings – ausgehend von der vorgesehenen Disposition – die Notwendigkeit, andere Proportionen zu wählen. Die klassische ästhetik des Orgelbaus besagt: Der Pospekt resp. die Anordnung der Prospektpfeifen ist das Abbild des Orgelinneren. Vom deformierten Hauptgehäuse existierte außer einigen Ornamenten lediglich noch der wuchtige Culdelampe des dreigeteilten Mittelturms. Dieser bildete die Grundlage für den neuen, um die Prospektpfeifen von Prinzipal 16′ ab E (Hauptwerk) aufzunehmen. Die beiden Außenfelder wurden im Bereich der Pfeifenmündungen nach der Vorlage von RINCKLAKE hergestellt. In der Länge mußten sie jedoch den neuen Verhältnissen angepaßt werden, d.h. sie wurden wesentlich tiefer heruntergezogen, um die Prospektpfeifen des Prinzpal 16′ ab C vom Pedalwerk – in C- und Cs-Seite – geteilt – aufzunehmen. Auf Grund dieser Anordnung mußte auf die Rekonstruktion der Harfenfelder verzichtet werden. Vielmehr gliedern sich beide Flachfelder links und rechts in jeweils äußere und innere. Zur Aufnahme weiterer Prospekpfeifen des Hauptwerk-Prinzipals 16′ – und zwar diejenigen der kleinen Oktave – dienen die äußeren. Die doppelstöckigen inneren Flachfelder sind mit dem Diskant bestückt. Trotz der in Anlehnung an die neoromanische Vorlage geschaffenen Prospektarchitektur mit ihren Rundbögen wurden hier klassische Orgelbauprinzipien nord- und mittel-deutscher Provenienz realisiert. Sämtliche Ornamente, sofern sie nicht mehr vorhanden waren, sind entsprechend der Vorlage rekonstruiert worden. Dazu zählt ebenfalls die Bekrönung des Gehäuses mit einem Zinnenkranz.

Das neue Rückpositiv verfügt wiederum über eine fünfteilige Gliederung mit Betonung der Außenachsen. Die drei inneren Felder sind nun längenmäßig so abgestuft, daß das kleinste in der Mitte steht. Dadurch bleibt die Sicht zum dreigeteilten Mittelturm des Hauptgehäuses bestehen. Natürlich mußten auch hier andere Proportionen gegenüber dem Brüstungspositiv von 1948 gewählt werden, da im Prospekt nun Prinzipal 8′ steht. Das ornamentale Programm des Hauptgehäuses ist übernommen worden.

Wegen der Rundbogenarchitektur sind in allen Prospektfeldern die Pfeifen in der sogenannten Mitra-Stellung (d.h. die längste Pfeife steht in der Mitte) angeordnet. Im Gegensatz zum FLEITER-RINCKLAKE- Prospekt erhielten die Ornamente keine farblichen Abstufungen. Lediglich die Kapitelle, Schaftringe und Basen der Säulen wurden vergoldet. Ebenso sind die Gesimse mit vergoldeten Kanten versehen worden.

Die Frage, ob man in einen historistischen Orgelprospekt nachträglich unter Berücksichtigung der Gehäusearchitektur ein Rückpositiv einfügen darf, wird aus der Praxis heraus positiv beantwortet. Darüber hinaus muß die Ansicht, daß Orgelprospekte der Nachbarockzeit keine Rückpositive aufweisen, dahingehend korrigiert werden, daß es zwar weithin nicht mehr üblich war, Rückpositive zu bauen, daß aber andererseits der Bau von Rück- bzw. Brüstungspositiven nie völlig aufgegeben wurde. Wir nennen einige Beispiele:
Algund bei Meran, Dominikanerinnenkolster Maria Steinach: JOSEF AIGNER, Schwarz, 1860 (9).
Berlin, St. Thomas: WILHELM SAUER, Franktur/O., 1869 (10).
Paris, St.-Eustache: DUCROQUET & BARKER, 1876-1879 (11).
Berlin, Dom: WILHELM SAUER, Frankfutr/O. 1904-1905 (12).
Wetzlar, Dom: Lettnerorgel: E.F. WALCKER & Cie., Ludwigsburg 1910 (13).
Sowohl WILHELM SAUER (14) als auch ARISTIDE CAVAILLÉ-COLL (15) ließen bei Umbauten älterer Orgeln der Zeit vor 1800 weitgehend Rückpositive bestehen bzw. bezogen sie in ihr klangliches Konzept mit ein.

(1) SCHLEPPHORST, WINDFRIED: Der Orgelbau im westlichen Niedersachsen, Kassel 1975, S. 120. ? Der Entwurf stammte wohl von dem Architekten WILHELM RINCKLAKE. Beide wohnten im Haus „An der Rotenburg 14“ in Münster.
(2) Erfurt, Predigerkirche: LUDWIG COMPENIUS 1649 / SCHUKE, Potsdam 1977. Braunschweig-Riddagshausen, ev. Klosterkirche St. Maria: HEINRICH COMPENIUS d.J., 1619 / ALFRED FüHRER, Wilhemshaven 1979, Rekonstruktion des Hauptgehäuses.
(3) BUSCH, HERMANN J. (Hrsg.): Orgeln in Paris, Kassel 1977, S. 28f.
(4) Pasewalk, St. Marien: FRIEDRICH WILHELM KATSCHMITDT. Biesenthal bei Bernau, ev. Stadtkirche: FERDINANT DINSE, 1859. Eutin, St. Michaelis: OSCAR SCHULZE, 1860 Wetzlar, Dom: Lettnerorgel: E.F. WALCKER & Cie., 1910
(5) Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Orgelprospekte von GOTTFRIED SILBERMANN, Vater und Sohn HILDEBRANDT und an JOHANN PETER MIGEND: GOTTFRIED SILBERMANN: Dresden, Sophienkirche 1718-1720; Dreden, Frauenkirche 1732-1736; Freiberg, St. Petri 1734-1735; Zittau, St. Johannis 1738-1741; Dresden, kath. Hofkirche 1750-1754. ZACHARIAS HILDEBRANDT: Dresden-Neustadt, Dreikönigskirche 1757. JOHANN GOTTFRIED HILDEBRANDT: Hamburg, Hauptkirche St. Michaelis 1762-1767. JOHANN PETER MIGEND: Orgel für Prinzessin ANNA AMALIA, 1753-1755; Steht heute in der Kirche „Zur Frohen Botschaft“ zu Berlin-Karlshorst.
(6) SCHLEPPHORST, wie Anm. (1).
(7) Kirchengemeinde St. Gertrud, Lohne (hrsg.): Die neue Christian-Lobback-Orgel, Lohne 1985, S. 4f.
(8) Alfred Führer Orgelbau (Hrsg.): Fünzig Jahre Orgelbau Führer, Berlin 1983, S. 94, 109, 134.
(9) REICHLING ALFRED: Orgellandschaft Südtirol, Bozen 1982, S. 150f.
(10) FALKENBERG, HANS-JOACHIM: Wilhelm Sauer (31. Märtz 1831 – 9. April 1916),in: Ars Organi 24, 1975, H. 49, S. 2276f.
(11) RUPP, ÉMILE: Entwicklungsgeschichte der Orgelbaukunst, Einsiedeln 1929, Reprint,hrsg. von Jochaim Dorfmüller, Hildesheim 1981, S. 155. Vgl. BUSCH,H.J.: wie Anm. (3), S. 31.
(12) BERGELT, WOLF: Die Mark Brandenburg. Eine wiederentdeckte Orgellandschaft, Berlin und Leipzig 1989, S. 74-77.
(13) GROSSMANN, DIETER: „In welchem Style sollen wir bauen?“ Betrachtungen zur Form des Orgelgegehäuses im 19. Jahrhundert (vorwiegend an deutschen Beispielen); in: Acta Organologica 17, Kassel 1984, S. 79. Dort auch ein weiteres Beispiel für einen Prospekt von W. RINCKLAKE (Abb. 1, S. 41).
(14) FALKENBERG H.-J.: wie Anm. (10), S. 2277. Fulda, Dom: WILHELM SAUER, Frankfurt/O. 1876-1877.
(15) U.a. Saint-Omer, Notre-Dame 1855. Elbeuf, St-Jean 1858. Caen, St-Étienne 1885. Tououse, St-Sernin 1889. Rouen, St-Quen 1890.
In St-Sulpice zu Paris hat ARISTIDE CAVAILLÉ-COLL das Rückpositiv des von JEAN-FRANÇOIS-THÉRÈSE CHALGRIN entworfenen Gehäuse der FRANÇOIS-HENRI-CLICQUOT-Orgel ausge-räumt, damit dort der fünfmanualige Spieltisch seinen Platz mit Blickrichtung zum Altar finden konnte. Bei der Aufstellung der CAVAILLÉ-COLL-Orgel in der Basilika Sacré-Coer zu Paris durch CHARLES MUTIN (1919) wurde nach dem Vorbild von St-Sulpice eine Rückpositivfassade errichtet, um den viermanualigen Spieltisch – ebenfalls mit Blickrichtung zum Altar – zu verdecken.

© G.C. Lobback, 1991