St. Augustinus, Hannover

Schleifenwindladen, mechanische Traktur, elektrische Registertraktur Genaralsetzer 128fach,

Disposition: L. Rückert, P. Kaufhold, C. Lobback
Gehäuseentwurf und Mensuren: G. Christian Lobback

Manual III C – g“‘ (Schwellwerk)

Bordun 16′
Gemshorn 8′
Holzgedackt 8′
Gambe 8′
Schwebung 8′
Prinzipal 4′
Traversflöte 4′
Nasard 2 2/3′
Waldflöte 2′
Terz 1 3/5′
Fourniture V 2′
Basson 16′
Hautbois 8′
Clairon 4′
Tremulant

Manual II C – g“‘ (Hauptwerk)

Pommer 16′
Doppelprinzipal 8′
Rohrflöte 8′
Oktave 4′
Blockflöte 4′
Quinte 2 2/3′
Superoktave 2′
Kornett V 8′
Mixtur VI 1 1/3′
Trompete 8′
III – II
I – II

Manual I C – g“‘ (Rückpositiv)

Prinzipal 8′
Metallgedackt 8′
Quintade 8′
Oktave 4′
Rohrflöte 4′
Sesquialter II 2 2/3′
Schwiegel 2′
Quinte 1 1/3′
Scharf IV 1′
Dulzian 16′
Krummhorn 8′
Tremulant
III – I

Pedalwerk C – f‘

Prinzipal 16′
Subbaß 16′
Quinte 10 2/3′
Oktave 8′
Koppelflöte 8′
Choralbaß 4′
Mixtur IV 2 2/3′
Posaune 16′
Trompete 8′
Schalmey 4′
III – P
II – P
I – P

Natürlich gibt es Gründe die zu einem verfehlten Vollkang führen können

Seine Orgeln markieren den Weg einer Entwicklung, die sich von den Vorbildern der Vergangenheit zu lösen beginnt. Zahlreiche Orgeln aus seiner Neuendeicher Werkstatt dokumentieren diese Loslösung. An der Orgel für die Pfarrkirche St. Augustinus in Hannover ist diese Kontiniutät erfahrbar. Mit dem Orgelbauer Christian Lobback sprach der Musikwissenschaftler Hans Enzweiler.

Enzweiler:
Wenn man sich Ihre Orgel in St. Augustinus ansieht, so stellt sich spontan die Frage, wie sind Sie zu dieser architektonischen Lösung gekommen?

Lobback:
Wissen Sie, ich hätte es mir leichter machen und einfach ein historisches Vorbild als Grundlage für meine überlegungen wählen können.

Enzweiler:
Das haben Sie aber nicht getan.

Lobback:
Nein, da hätte die Gemeinde auch nicht mitgemacht; außerdem finde ich das Kopieren von Orgeln unakzeptabel. So manche Orgelbauwerkstatt hat – wie Sie wissen – die Nachahmung von barocken, romantischen und italienischen Orgeln ja bereits perfektioniert – das ist phantasielos und ist kein Ruhmesblatt für den zeitgenössischen Orgelbau. Ein tieferer Grund für diese negative Entwicklung ist sicherlich auch der Erfolg der Postmoderne, die an Bekanntes anknüpft und emotionale Bedürfnisse befriedigt. Die Avantgarde dagegen ist ja im kirchenmusikalischen Spektrum leider so ziemlich tot.

Enzweiler:
Es fällt auf, daß die spitzprofilierten Felder des Orgelgehäuses die gleichen Winkel aufweisen wie in der Kirchendecke.

Lobback:
Die streng gegliederte Kirchendecke mit den diagonal verlaufenden Linien war der eigentliche Schlüssel für den Gehäuseentwurf. Wenn Sie das Gehäuse betrachten, werden Sie feststellen, daß die Pfeifenfelder in der vertikalen Ebene ebenfalls diese Winkelverläufe aufweisen. Es gibt übrigens eine sehr berühmte Orgel, ich meine das Werk von Christian Müller in Haarlem aus dem Jahre 1738, das die gleiche diagonale Linienführung aufweist; diese übereinstimmung ist aber rein zufällig entstanden und nicht gewollt. Mir ist das aufgefallen, als ich kürzlich von einem Freund aus den Niederlanden eine Postkarte mit der Abbildung der Müller-Orgel erhielt. Andererseits ist das natürlich kein Zufall – denn Christian Müller hat 1738 das gleiche getan – worum ich mich seit vielen Jahren auch bemühe; er hat u.a. die Oktavproportion 1 : 2 als Motiv für die Gehäusegestaltung herangezogen. Die harmonikale Proportion 1 : 2 repräsentiert bekanntlich eine Konsonanz, die nicht zu übertreffen ist.

Enzweiler:
Es hat doch wohl etwas mit dem Harmoniebewußtsein im Abendland zu tun?

Lobback:
Wir wissen heute wieder, daß bereits in der Antike und im Mittelalter die Harmonie als Ideal galt, welche durch den harmonikalen Zusammenhang von Intervall und Zahlenverhältnis verkörpert wird.

Enzweiler:
Sie haben im Jahre 1985 einen Arbeitskreis gegründet, der die harmonikalen Grundlagen für den Orgelbau nutzbar macht.

Lobback:
Ohne diesen Arbeitskreis wäre dieser jetzt realisierte Entwurf nicht entstanden.

Enzweiler:
Damit können Sie zu einem Protagonisten für eine generelle Bewußtseinsentwicklung im Orgelbau werden. Ich habe einmal gelesen, daß Sie Wert auf die Gestaltung der Schleierbretter legen. Wenn ich mir diese Orgel ansehe, fällt mir auf, daß Sie Motive aus dem Kirchenraum verwendet haben.

Lobback:
Die dekorative Kunst hat mich schon als Kind interessiert. Das Hauptmotiv, das ist unschwer zu erkennen, habe ich aus dem Altarbereich gewählt. Es symbolisiert die zwölf Tore der himmlichen Stadt Jerusalem. Zwei weitere Motive stammen aus den Kirchenfenstern, die ich ebenfalls zweckdienlich variiert habe. Die ästhetische Wirkung von Schallbrettern, ich ziehe diesen Ausdruck vor, weil er auf die Primärfunktion hinweist, ist auch darauf zurückzuführen, daß die ornamentale Struktur der Bretter, die auf das Orgelgehäuse appliziert werden, mit der Gegenstandsstruktur, also dem Musikinstrument Orgel, nicht identisch ist. Gleichwohl haben die Schallbretter aber auch eine wichtige Klangfunktion. Die negative Schärfe der obertonreichen Frequenzen wird reduziert bzw. absorbiert und die Rückkopplung der raumreflektierten Schallenergie auf die Schallerzeuger wird ermöglicht. Kirchenraum und Orgel bilden somit architektonisch wie auch akustisch eine Einheit, sozusagen eine Lebensgemeinschaft.

Enzweiler:
Da wären wir also bei der primären Aufgabenstellung, die eine Orgel zu erfüllen hat, nämlich die der Klangerzeugung. Bisher hat die Gemeinde mit einer elektronischen Orgel die kirchenmusikalischen Aufgaben gemeistert.

Lobback:
Bei der elektronischen Tonerzeugung werden Höhe, Intensität und Klangfarbe getrennt und beziehungslos bestimmt; es besteht keine organische Verbindung zwischen ihren Signifikationen sowie keine Grundlage für die Tonstrukturen. Daher haben derart erzeugte Tonstrukturen auch keine mitteilbaren Signifikationen. Unbestreitbar ist natürlich, daß der elektrische Ton wertvoll ist für die elektrische Reproduktion musikalischer Klänge durch CD, Rundfunk und Schallplatte; ungeeignet hingegen sind die durch elektrische Verfahren künstlich erzeugten Töne für die Darstellung von Musik. Nur der Naturklang schafft die Tatsache, daß in ihm Höhe, Intensität und Klangfarbe aus einer Quelle stammen; bei der Orgel und den anderen akustischen Instrumenten sind die spezifischen Eigenschaften des Tons organisch entstanden und somit vernetzt; desgleichen auch ihre Signifikationen im musikalischen Hören. György Ligeti, der aus Ungarn stammende Komponist, hat sich eine Zeitlang ganz der elektronischen Musik verschrieben; und daneben beschäftigte er sich 1972 an der Stanford-Universität mit Computermusik. Er fand heraus, daß die synthetisch erzeugten Klänge auch ärmer an Einschwingvorgängen sind – und kehrte zu den akustischen Instrumenten zurück.

Enzweiler:
Und Glenn Gould hat in seinem Aufsatz „Die Zukunft der Tonaufzeichnung“ unmißverständlich ausgeführt: Die Rolle des Fälschers ist sinnbildlich für die elektronische Kultur. Daraus folgt ja nun eindeutig, daß elektronische Orgeln Fälschungen sind.

Lobback:
Der Erkennungsmechanismus des Gehörs ist so angelegt, daß nur akustisch entstandene Töne, deren Schwingungsmuster die spezifischen Ausprägungen der Naturklanginstrumente aufweisen, umfassend wahrgenommen werden. Man hat festgestellt, daß die Umwandlung der Schallenergie elektrisch erzeugter Töne auf der Basilarmembran in Nervenimpulse nur unvollständig erfolgen kann. Es wurde z.B. ermittelt, daß das Gehirnnervensystem elektrisch erzeugte Töne hinsichtlich ihrer Tonhöhe nicht richtig erkennen bzw. verarbeiten kann, weil deren Schwingungsmuster unnatürlich strukturiert sind. Eine Feststellung grundsätzlicher Art ist in diesem Zusammenhang meines Erachtens notwendig: Akustische Musikinstrumente jeglicher Art erzeugen Luftschwingungen. Der Klang oder Ton wird aber erst im Zentralnervensystem des Hörers realisiert. Das scheint eine höchst banale Feststellung zu sein, das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen.

Enzweiler:
Ist der Umgang mit dieser Realität nicht aber für Ihre Arbeit sehr wichtig, wenn Sie mit dem Klang oder am Klang arbeiten? Ich habe den Eindruck, daß so manche neue Orgel viele Hörer einfach überfordert, weil insbesondere der Vollklang derartiger Instrumente die Vermittlung der Feinstrukturen von Musik erschwert oder teilweise sogar unmöglich macht aufgrund der Tatsache, daß Klang seine Funktion verliert, wenn die Belastungsgrenze des Hörers überschritten wird. Sind insbesondere nicht auch die norddeutschen Orgelbauer bekannt für forcierte und harte Klangbilder ihrer Instrumente?

Lobback:
Ich bin Ihnen dankbar für diese Frage. Im vergangenen Jahr fand eine Fachtagung in Wien mit vielen Orgelkonzerten statt; so hatte ich wieder einmal Gelegenheit, einige Instrumente aus süddeutschen bzw. österreichischen Werkstätten zu hören. Insbesondere bei Interpretationen von Kompositionen von Franz Schmidt und Anton Heiller hielten sich zahlreiche Zuhörer die Ohren zu oder verließen sogar unter Protest die jeweilige Kirche, weil der brutale Vollklang die Zuhörer niedermachte. Sie sehen an diesem kleinen Beispiel, daß im Süden Orgelbauer über derartige Fähigkeiten verfügen. Daß die norddeutsche Orgel und damit auch die norddeutsche Orgellandschaft schon vor 300 Jahren einzigartig in der Musikwelt gewesen ist, dafür gibt es ja einen berühmten Zeugen. Ich meine keinen geringeren als Johann Sebastian Bach, der wiederholt vergeblich versucht hat, an einer norddeutschen Orgel amtieren zu können, was, wie Sie wissen, die Hamburger Pfeffersäcke verhindert haben. Im übrigen kann ich Sie leicht vom Gegenteil hinsichtlich der weit verbreiteten Meinung, norddeutsche Orgeln klingen kalt und hart, überzeugen. Herr Enzweiler, hören Sie sich die neue Orgel von St. Augustinus an, sie ist in einer norddeutschen Werkstatt, nördlich der Elbe entstanden.

Enzweiler:
Wie Sie wissen, habe ich bereits die Klangeigenschaften dieser Orgel kennengelernt. Ich bestätige daher gern, daß Ihr neues Werk auch sensitiven Hörern zusagen wird. Trotzdem möchte ich nochmals nachhaken, was die unzureichenden Vollklangqualitäten mancher Orgel angeht. Wie erklären Sie die Ursache hierfür? Ich weiß, daß Sie seit Gründung Ihrer Werkstatt im Jahre 1964 sämtliche Orgeln persönlich entworfen, mensuriert und auch intoniert haben. Aufgrund des dabei gesammelten enormen Erfahrungspotentials sind Sie doch prädestiniert und kompetent, die Gründe hierfür etwas aufzuhellen.

Lobback:
Darüber, warum das eine oder andere Instrument derartige Eigenschaften aufweist, kann ich kein Urteil abgeben, weil mir die Details seiner Baugeschichte nicht bekannt sind. Natürlich gibt es mannigfaltige Gründe, die zu einem verfehlten Vollklang führen können. Die Arbeit mit dem Klang setzt grundsätzlich eine umfassende Vorbildung voraus, um zu einem subtilen und künstlerisch befriedigenden Ergebnis zu kommen. Ein Musikinstrument, es muß nicht die Orgel sein, sollte grundsätzlich studiert werden.

Enzweiler:
Sie haben Geige studiert?

Lobback:
Ja, die Geige bietet einzigartige Voraussetzungen, um Erfahrungen mit der Welt der Klänge zu machen. Ein Geiger muß permanent stimmen und intonieren, um interpretieren zu können. Außerdem ist es selbstverständlich, daß der Orgelbauer ständig Orgelkonzerte hört und regelmäßig Interpretationsseminare, die in großer Zahl angeboten werden, besucht. Es reicht eben nicht, wenn die Orgelpfeifen bzw. das Register präzise anspricht und sauber gestimmt ist. Jedes Register einer Orgel hat eine Klangfunktion in der Disposition. Die Valeurs müssen stimmen. Einzelne Register mögen klangästhetisch überzeugen, aber die Kunst ist es eben, das Einzelregister so zu intonieren, daß es in der unterschiedlichsten Addition mit anderen Registern seine Aufgaben erfüllt. Und wenn das alles bedacht wird, muß natürlich die Raumakustik mit in das Kalkül einbezogen worden sein. Hinzu kommt, daß die psychische Konstitution des Orgelbauers stabil sein muß. Die Arbeiten dürfen nicht unter Zeitdruck ausgeführt werden. Mangelnde Zeit oder finanzieller Druck führen dazu, daß Orgeln häufig so überaus hart klingen, weil der Zeitaufwand für diese Art der Intonation bis zu 50 % geringer ist. Es ist aber noch ein weiterer Gesichtspunkt von Bedeutung. Auch erfahrene und qualifizierte Orgelbauer haben oft große Probleme mit den Interdependenzen zwischen den einzelnen Registern in der Disposition einerseits und der Akustik des Aufstellungsraumes andererseits. Es fehlt ihnen ein Koordinatensystem, das die Beziehung zwischen Einzelton und Klangkomplex transparent macht – und darüber hinaus die Einbindung in den Raum herstellt. Heute wissen wir, daß dieses Koordinatensystem, ich meine das Lambdoma, den Orgelbauern bereits im 15. Jahrhundert bekannt war. Letztendlich wird es immer darauf ankommen, ob mit dem vom Orgelbauer geschaffenen Klang Ausdruckswerte verfügbar werden, die Musik erfahrbar machen. Dazu ist derjenige sicherlich am besten prädestiniert, dessen Umgang mit dem Klang ein „lebendiger Ausdruck des inneren Seins“, wie es Herder einmal formuliert hat, ist. Oder anders ausgedrückt: Die innere Disposition ist maßgeblich beteiligt bei der Arbeit mit dem Klang.

Enzweiler:
Welchen Wunsch geben Sie der neuen Orgel von St. Agustinus mit auf den Weg?

Lobback:
Möge auf dieser Orgel möglichst viel inspirierte Musik der unterschiedlichsten Art erklingen, zur Freude aller Zuhörer, die sich ein offenes Ohr für die Schönheit der Hörbilder des Naturklangs bewahrt haben.

© Hans Enzweiler